heute, 12. Mai ist internationaler ME/CFS-Tag
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Hallo Zusammen! Ich bin freiberufliche Stimmpädagogin und Sängerin, ich liebe Schokolade und gutes Essen, lache gerne und Reise für mein Leben gern.
Seit ich ME/CFS habe,

(seit 2011, schlimm seit 2015 mein Verlauf/Beginn war nicht plötzlich, sondern graduell, gibt es auch, Symptome hatte ich schon mein ganzes Leben…)

ist Reisen sehr schwer für mich. Neulich machte ich meine erste Reise und Urlaub in 7 Jahren. Und prompt fiel ein Zug aus und statt immerhin 7 Stunden, war ich 10 Stunden unterwegs. Davon erhole ich mich quasi nun seit 2 Wochen. Und dabei habe ich unglaubliches Glück. Mir geht es vergleichsweise gut. Mir ging es schon viel schlechter. Immerhin habe ich mir die Reise zugetraut und wunderbare Berge gesehen und sogar „bestiegen“.

via GIFER

 

Meinen Mitstreiter:innen in diesem Kampf gegen ME/CFS geht es meist viel schlechter. Ich habe einen leichten Verlauf, den ich auch langsam aber stetig verbessere, mit einer Ernährung nach Anthony William (bin von Bell 30 auf Bell 60 gekommen). Ich hatte viel Glück.

Was mit fehlt, ist nicht nur eingeschränkte ‚Löffel’* zur Verfügung zu haben, also einfach viel, viel machen zu können an einem Tag und auch mal über meine Grenze gehen zu dürfen, ohne gleich dafür zahlen zu müssen. Mir fehlt regelmässig zu tanzen, mir fehlt es frei Urlaube und Reisen zu planen, mir fehlt es Konzerte besuchen zu können wann ich will, überhaupt Freund:innen sehen zu können, ohne Acht zu geben, was es mit meinem Energiehaushalt machen könnte.

Überhaupt spielt Kontrolle eine grosse Rolle in meinem Leben, weil ich sonst quasi immer flach liegen würde. Pacing heist die Technik, mit der man ua bei ME/CFS seine Kräfte bewusst einteilt, so dass man eben nicht einfach zusammenbricht und Stunden oder Tage nicht mehr aufstehen kann. Been there, done that.

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Ich bin schon beruflich gut im Meditieren, auch wenn es keine traditionelle Mediation ist, ich bin fit in Achtsamkeitsarbeit, mache ja somatische Körperarbeit und ohne positives Denken, hätte ich es glaub nicht bis hier her geschafft. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, mein Mindset ist nicht das Hauptproblem. Es ist handfest, körperlich.

Heute am #LiegendDemo Tag sind wir auf gefordert uns zu zeigen und zu sagen was uns fehlt. Also bin ich mal so mutig. Ich bin immer noch Julia, mit all meinen Wünschen und Fähigkeiten, nur manchmal brauche ich einen Stock (der mir ein grosse Hilfe ist), oder ich kann schlicht nicht so viel machen wie andere.

Behinderung und chronische Krankheit ist so tabuisiert, als ob Leute die betroffen sind, nicht noch so viel mehr wären, sie haben Berufe und Träume, sind Modefans oder lieben Fussball.

So durfte ich die letzten Jahre viel lernen, durch meine Krankheit, auch wenn sie mich immer mehr verlässt (GSD). Was ich gelernt habe, gebe ich an meine Klient:innen weiter. Sie profitieren von meinen Erfahrungen. Wie in jedem Coaching, ist der aktive Erfahrungsschatz wichtig, weil ohne Erfahrung sind Techniken und Gespräche nur leer. Unwirksam. So ist also jemand, die:der viel erlebt hat, daran gewachsen ist und sich entwickelt hat, meist ein effektiverer Coach, als die Person, der diese Erfahrungen fehlen. Meine Krankheit, meine Erfahrungen damit machen mich also nicht schlechter. Das gilt auch fürs Musizieren. Mit den Seelenabgründen denen wir begegnet sind, wachsen wir musikalisch.

via GIFER

Wir, Leute mit chronischen Krankheiten sind also nicht unsere Krankheit. Mit Nichten. Ja, sie gibt uns extra Aufgaben, aber wir sind immer noch wir selbst.

Mir fehlt auch, dass die Gesellschaft, dass Menschen um mich rum, nicht mehr in so schwarz/weiss Kategorien denken. Dass sie kranke oder behinderte Menschen nicht abschreiben.
Nimm nicht an, dass eine kranke Person nicht zum Geburtstag kommen kann, frag, ob sie kommen will. Vielleicht was sie braucht. Und wenn sie nicht kommen kann, vielleicht kann man ein kleines Facetime date mit allen machen? Nimm nicht an, das jemand seinen Job nicht mehr machen kann, oder gar nicht mehr ‚gut‘ machen kann, wegen einer Krankheit, frag.

Dazu muss man erst mal zuhören. Und so wie die Politik ME/CFS nicht ernst nimmt (nicht erst seit gestern, es gibt keine Behandlungsmethoden und kaum Forschung), so ist es gesellschaftlich ein Tabuthema über Krankheiten und Behinderung zu sprechen. Und: nicht jede Erkrankung oder Behinderung kann man von aussen sehen. Muss man auch nicht. Zuhören, wenn jemand seine Grenzen kommuniziert. Mitgefühl nicht Mitleid. Miteinander, statt Ausschluss.

ME/CFS kann wirklich jede:n treffen. Überhaupt ist niemand vor Behinderung oder Krankheit gefeit. Man braucht keine Angst haben. Nein. Aber ich vermute es ist mit die Angst, die dafür sorgt, dass nicht hingeguckt wird.

Auf dem Foto war ich grade noch in Locarno und hatte meinen ersten Urlaub in 7 Jahren erlebt und war glücklich und voller Sonne. Jetzt bin ich wieder daheim, und Alltag und Arbeit haben mich wieder.

Mit diesen ‚mutigen‘ Worten, die vielleicht hier und da auch ‚anstossen‘ aber hoffentlich positiv wachrütteln, grüsse ich alle lieb, am #mecfsawareness Tag!

Und sollte ich es nicht erwähnt haben:

man kann mich auch buchen,
als Stimmbildnerin &
performative, experimentelle Loopstation Künstlerin mit meinen „Intellektuellen Gebeten“

-> meine Erfahrungen machen meine Arbeit nur effektiver, ausdrucksstarker, versprochen,

❤️, Julia
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#MECFS #mecfsawareness #millionsmissing4action #MillionsMissing #mecfsrecovery #mecfswarrior MillionsMissing Deutschland Liegenddemo 12.5.23
*Die Löffeltheorie besagt, Menschen ohne Krankheit oder Behinderung , able bodied, haben zB 50 000 Löffel zur Verfügung, und können quasi alles machen, was sie an einem Tag machen wollen und haben abends noch Löffel übrig um Zähne zu putzen und ins Bett zu gehen. Menschen die nicht able bodies sind, haben weniger Löffel, manchmal haben sie nur 50 aber manchmal haben sie auch nur 4. Und dabei ist zB Zähneputzen 1 Löffel. Duschen vielleicht 2. Und sich was zum Essen machen auch 2 Löffel. Dann sind die Löffel für den Tag verbraucht und man kann nur noch liegen.