Von meinem lieben Schüler, der meiner Arbeit und ihren Ergebnissen den schmissigen Titel „Den Julie Effekt“ gab, hab ich ja schon erzählt. Er kam zu mir und traute mir zu, dass ich ihm helfen könnte und ich konnte.
In Sorge um seine professionelle Sprecherstimme die ihm seinen Unterhalt bei einem grossen Musiksender sicherte kam er, niedergeschlagen aber eben mit Hoffnung (auf meine Fähigkeiten) bei mir an. Und wenn er dann mein damaligen Unterrichtsraum verlies, waren die Sorgenfalten weniger und er strahlte. Voller Zuversicht. Er hatte keine Angst mehr, seinen Job zu verlieren und das was er liebte zu tun. Ich konnte ihm helfen, auch weil er etwas in mir sah, was ich damals noch nicht sehen konnte. Wir hatten nur wenige Stunden zusammen, denn ich zog bald nach seiner Ankunft bei mir, in eine ander Stadt. Er war mein erster offizieller Schüler dem ich mit der Sprechstimme half. Das hatte ich damals noch nicht in meinem Angebot. Ich bin ihm bis heute dankbar. Denn er erkannte etwas an mir, was für ihn Wert hatte und ist.
An jemanden glauben und an etwas glauben ist machtvoll. Machtvoller als man manchmal so denken mag. Als Third Culture Kid, aufgewachsen und sozialisiert in Deutschland, USA und England, durfte ich das „An-Menschen-Glauben“ früh lernen, da dieser ‚Gedanke‘ sagen wir vorsichtig, nicht so verwurzelt ist im Denken und Handeln eines nur Deutsch sprechend sozialisierten Menschen.
Nicht nur besagter Fernsehsprecher half mir mit seinem Glauben an mich, viele viele male, erfuhr ich durch andere ‚believing in me und meine Fähigkeiten‘ Hilfe
Als ich 2004 wieder anfing mich mit angewandter Stimmphysiologie auseinanderzusetzen, mochte ich sehr, dass es sehr konzentriert darum ging, sich das system Stimme anzugucken, wie funktioniert es, was hat es für Möglichkeiten und schnell merkte ich: das ist ein sehr bewegliches und auch vergebendes System. Ich muss es nur lesen lernen und ihm zuhören.
Als dann einige Jahre später eine junge Frau in mein Studio kam wusste, ich noch nicht, dass die hübsche, zurückhaltende, liebevolle Person die mir gegenüberstand mir zeigen würde wie wichtig diese Zuwendung „believing in people“ und Systeme ist.
Sie kam überlastet, entmutigt, erdrückt, unsicher und ängstlich mit hängenden Schultern und gesenktem Blick. Ich bat sie mehrfach, sie dürfe mir in die Augen schauen. Sie steckte im Referendariat, war relativ frisch nach Deutschland gezogen, kam aus Portugal hatte einen grossen aktiven deutschen Wortschatz und einen noch grösseren passiven. Sie unterrichtetet. Sie war unsicher und erlebte viel Kritik. Die Kinder waren sehr unruhig bei ihr und es strengte sie sehr an. Ihr Wunsch, warum sie kam, war singen zu können, einfach nur für sich, oder mal in einem Chor. In ihrer Familie wurde gesungen und sie wurde ausgelacht und verspätet. Weil sie „falsch“ sang, so erzählte sie.
Als ich dann anfing mit ihr zu arbeiten, stellte ich schnell fest, nicht nur war das Nervensystem vor mir wacklig und instabil, sie traf quasi keinen Ton. Innerlich hielt ich inne und fragte mich, ob ich mir das zutraue. Und ich sagte mir: ich bleib einfach bei den physiologischen Fakten und geh Schritt für Schritt.
Long story short: es gelang uns in zwei Jahren, Schritt für Schritt die kleinen Schritte der angewandten Stimmphysiologie mit meinem Glauben an sie und an ihr System zu gehen. Weil Systeme wollen nämlich funktionieren!
In dieser Zeit geschah das fast unglaubliche, nicht nur hatte sie peu a peu immer besser die Töne getroffen nein, am Schluss dieser Zeit konnte sie ihren grössten Wunsch, ein Jazz Standard zu singen, umsetzen. Und sie sang Girl from Ipanema (natürlich auf Portugiesisch) ganz wunderbar, lieblich und absolute in tune!
Das sollte auch nicht der Letzte gewesen sein. Aus ihr war eine Ton-treffende, feinsinnig interpretierende Hobbysängerin geworden. Und nur, weil ich an Sie und an die Funktion von ihrem und System generell, glaubte. Das war ihr Geschenk an mich, ich durfte diese Wandlung erleben.
Heute, nach vielen solchen Beispielen, kann ich sagen: I believe in it. Because I know. I have been there. Es war ein Geschenk für uns beide!
So verliess sie meinen Unterricht, mit gerader, aufrechter Haltung, Blick in die Zukunft, strahlenden, erhobenen Augen, ihrem zauberhaften Lächeln und viel Mut! Der Umgang mit ihren Schüler:innen hatte sich auch verändert, berichtete sie, sie waren nicht mehr so laut und störend, sondern lauschten ihr und waren ihr zugewandt. Auch in anderen Beziehungen änderte sich ihre Position, sie berichtete von mehr Augenhöhe zu anderen, besonders zu ihrem damaligen Freund. Ich sah sie einige Jahre später auf der Strasse wieder. Es war ein herzliches Treffen und sie strahlte immer noch. Jetzt nicht mehr nur, wenn jemand sie bat, den Blick nicht zu senken. Sie sah glücklich aus.
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